FAQ: Musikclubs und die BauNVO & TA Lärm

  1. Sind die Clubs nicht längst als Kulturorte anerkannt?
    Nein! Zwar gibt es viele Berichterstattungen (siehe u.a. Tagesthemen), die fälschlicherweise die Anerkennung der Clubs als bereits realisierte Angelegenheit verkünden.
    Der häufig erwähnte Entschließungsantrag im Dt. Bundestag vom Mai 2021 war eine reine Willensbekundung des Parlaments, die keinerlei bindende Wirkung hat(te) und bislang von der Exekutive noch nicht umgesetzt wurde.
    Der damalige zuständige Minister Seehofer ließ in den letzten Monaten der Großen Koalition bis zum Regierungswechsel das Thema unbehandelt bzw. setzte lediglich eine Fachkommission der Länder ein, die eine Handreichung zur baurechtlichen Einstufung von Musikclubs formulierte (siehe auch LiveKomm-Kommentar). Es besteht weiterhin Reformbedarf für eine zeitgemäße Einordnung von Musikclubs, da sich der Kulturbegriff mit der gesellschaftlichen Entwicklung stetig wandelt. Einst galt auch die Volksoper in Wien als Vergünungsstätte.
  2. Was hat die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbart?
    Im Koalitionsvertrag von 2021 wurde auf Seite 93 (Kapitel Bauen und Wohnen / Städtebau) festgehalten: „Die TA Lärm werden wir modernisieren und an die geänderten Lebensverhältnisse in den Innenstädten anpassen, um Zielkonflikte zwischen Lärmschutz und heranrückender Wohnbebauung aufzulösen. Wir erkennen für Clubs und Livemusikspielstätten ihren kulturellen Bezug an. Für beides werden wir die Baunutzungsverordnung und TA Lärm anpassen.“ Siehe auch: Siehe auch: https://www.clubsareculture.de/der-ampel-koalitionsvertrag/
  3. Was würde eine geänderte Einstufung als Anlagen kultureller Zwecke (anstatt als Vergnügungsstätten) für die Clubs bringen?
    Eine rechtssichere Definition des Verordnungsgebers für Musikclubs mit nachweisbarem kulturellen Bezug wäre für die Rechtsprechung und kommunale Praxis vielfach von großen Wert, um vorhandene Unsicherheiten aufzulösen.
    Die Normierung von Musikspielstätten als Anlagen kultureller Zwecke stellt eine rechtliche Aufwertung im Rahmen der Baunutzungsverordnung dar. Eine entsprechende Änderung hat vor allem auch symbolische Bedeutung (Prestigegewinn & gesteigerte Wertigkeit), um diese Orte die höhere gesellschaftliche Anerkennung zu kommen zu lassen. Damit ist noch keine abschließende Aussage über ihre bauplanungsrechtliche Zuverlässigkeit in den jeweiligen Baugebieten betroffen. Entsprechende Bedenken bezüglich von möglicherweise zu erwartenden Lärmemissionen ließe sich dabei weiterhin auf Ebene des Einzelfalls zu prüfenden Rücksichtnahmegebots ausreichend Rechnung tragen.
    Etwaige Änderungen der Baugebietsvorschriften in der BauNVO wären „nur“ auf künftige Bebauungspläne (und Fälle des § 34 Abs. 2 BauGB) begrenzt. Bestandsclubs hätten von einer entsprechenden Novellierungen vorerst keine direkten Vorteile.
    Eine Änderung würden den Kommunen jedoch mehr Möglichkeiten in Gebeiten an die Hand geben, Club-Neugründungen dort begünstigen, wo es bislang an baurechtlichen Gründen scheitert bzw. Beschränkungen Begrenzung vorsehen.
    In Zeiten von Raum- und Flächennot und der Nutzungskonkurrenz zum Wohnen sind erweiterte Optionen für Club-Neuansiedlungen besonders erstrebenswert. Damit wäre noch keine abschließende Aussage über ihre bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in den jeweiligen Gebietskategorien getroffen. Entsprechende Bedenken – bezüglich von möglicherweise zu erwartenden Lärmemissionen – ließen sich dabei weiterhin auf Ebene der Genehmigung im Einzelfall ausreichend Rechnung tragen.


    Bei einer Novellierung könnte auch die Zulässigkeit von Anlagen kultureller Zwecke in Gewerbe- und Industriegebieten (siehe Grafik) angepasst werden und diese dort als „allgemein zulässig“ erklärt werden. Dadurch würde die Ansiedlung neuer Musikclubs und Genehmigungsfähigkeit von Kulturveranstaltungen in diesen Gebieten erheblich erleichtert.
  4. Welche weiteren Forderungen erhebt die LiveKomm zur Novellierung der BauNVO?
    Die LiveKomm schlägt zudem eine Ergänzung der § 9 BauGB vor, um in Bebauungsplänen künftig die Kennzeichnung von Räumen vorzusehen, die gemäß § 13a Abs. 2 BauNVO mit nachweisbar kulturellem Bezug als Livemusikspielstätte betrieben werden. Mit der gesonderten Ausweisung kulturell genutzter Räume im Sinne eines sog. Kulturkatasters verpflichtet den Satzungsgeber bei der Neuaufstellung eines Bebauungsplanes von vornherein kulturell zu nutzende Räume besonders zu „betrachten“ und bei Veränderung eines Bebauungsplanes die Berücksichtigung der kulturell genutzten Räume im Bestand.
    „Betrachtet“ ist hier im Sinne von Registrierung zu verstehen. Nur, wenn kulturelle Orte „offiziell“ verzeichnet und für die Planungsbehörden „erkennbar“ sind, können deren Interessen oder etwaige Konflikte frühzeitig identifiziert werden. Rücksichtnahme (auf den Bestand eines Kulturbetriebs) kann nur VOR Erteilung einer Baugenehmigung erfolgen. Daher sind verpflichtende Club/Kultur-Kataster ein entscheidender Baustein, um diese Orte vor heranrückender Wohnbebauung zu schützen.
    Außerdem sollte ein sonstiges Sondergebiet „Kultur“ in den Katalog des § 11 Abs. 2 BauNVO aufgenommen werden.
  5. Was heißt bei einer Änderung des Bebauungsplans „berücksichtigt werden“ ganz konkret?
    „Berücksichtigung“ bedeudet, dass NACH einer Erkenntniserlangung, dass in der betroffenen Umgebung ein kultureller Ort angesiedelt ist, dessen Lage und Interesse/n während und nach dem Bauvorhaben des Vorhabenträgers nicht verschlechtert sein sollte. Dies könnte z.B. häufig im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags Bestandteil werden.
  6. Was ist das Agent of Change Prinzip?
    Bislang gibt es in Deutschland noch kein etabliertes Agent of Change Prinzip. Ansätze von Beispielen sind im Ausland erkenntbar, z.B. in San Francisco oder London. Zur weiteren Befassung sind folgende Links empfehlenswert:
    https://www.clubsareculture.de/good-practice-agent-of-change-in-san-francisco/
    https://www.livemusikkommission.de/arbeitskreise/kulturraumschutz/agent-of-change/
  7. Zur Befürchtung einer Zulässigkeit von Musikclubs in Wohngebieten (Gebietsverträglichkeit): In der Baunutzungsverordnung geht es um die Vereinbarkeit verschiedener Nutzungen (Gebäudearten) in einem Gebiet und um die Vermeidung von Nutzungskonflikten auf der Planungsebene. Hierbei sind insbesondere Auswirkungen auf unterschiedlich benachbarte Nutzungen in den Blick zu nehmen.
    Die angestrebte neue Einstufung als Anlagen für kulturelle Zwecke würde die heute schon bestehenden Lärmkonflikte mit der Wohnbebauung in der Nachbarschaft NICHT nicht verschärfen bzw. ändern. Auch bei einer Änderung der BauNVO, die Musikclubs als Anlagen für kulturelle Zwecke einstuft, würde jede Genehmigung zur Zulässigkeit des Vorhabens gemäß einer Schallimmissionsprognose voraussetzen. Es wird in der Praxis nie vorkommen, dass ein Musikclub mit einer beispielhaften Kapazität von 2.000 Personen in einem allgemeinen Wohngebiet genehmigungsfähig wäre. Es existiert keinerlei Automatismus in der Zulassungspraxis: Die Genehmigung und der Bestand der Betriebserlaubnis bleibt weiterhin Einzelfallsentscheidungen der kommunalen Behörden. Bei Verstößen erfolgen entsprechende Auflagen und Einschränkungen.
  8. Stünde die Verträglichkeit während der Nachtruhe mit einer Änderung der BauNVO zur Disposition?
    Nein, die Verantwortung des Verursachers (dynamische Betreiberpflichten) verbleiben auch weiterhin bei den Veranstalter:innen.
    By the way: Nicht zu den Vergnügungsstätten sondern zu den Anlagen für kulturelle Zwecke gehören grundsätzlich Kinos. Diese haben oft Spätvorstellungen, die auch in Nachtzeiten fallen.
    Beim „Lärm von Besuchenden“ herrscht bislang ein Widerspruch: Einerseits wird der Publikumsverkehr gemäß TA Lärm grundsätzlich dem Club zugeordnet, andererseits erlaubt das Ordnungsrecht kein Eingriff im öffentlichen Raum. Hier endet eigentlich die Zuständigkeit für Veranstaltende, die über keine rechtliche Handhabe für das öffentliche Leben auf den Straßen verfügen.
  9. Beschränkt sich diese Fragestellung nur auf die Metropolen und Großstädte?
    Nein, die bundesweite Clubstudie der Initiative Musik weist nach, dass im Bezugsjahr 2019 mehr Musikclubs (51%) in Städten und Gemeinden unter 250.000 Einwohner:innen existierten.
  10. Wer entscheidet über die Novellierungen zur BauNVO und TA Lärm?
    Nach aktuellen Informationen sind Beschlussfassungen zur Baunutzungsverordnung und TA Lärm durch den Bundesrat zustimmungspflichtig und die 16 Bundesländer somit in einer Länderabstimmung zu beteiligen. Zuvor muss das Bundeskabinett einen Entwurf aus dem Bundesbauministerium (BMWSB) zur BauNVO und dem Bundesministerium für Umwelt (BMUV) zur TA Lärm beschließen. Dieser Regierungsentwurf geht dann in das parlamentarische Verfahren in den Deutschen Bundestag und wird da in den Ausschüssen beraten. In dieser Phase erfolgt auch eine Verbändeanhörung. Wann und wie in diesem Prozess die Länderabstimmung erfolgt entzieht sich aktuell unserer Kenntnis. Am Ende müssen Bundestag und Bundesrat die finalen Entwürfe beschließen. Dafür reicht in beiden Kammern eine einfache Mehrheit. Mit einer Beschlussfassung ist gegenwärtig vor der Sommerpause 2024 zu rechnen.
  11. Wo lassen sich weitere Fachinformationen zu dem Thema finden?
    https://www.clubsareculture.de/fachartikel-zum-baurecht-veroeffentlicht/
    – Der Podcast Planologie befasste sich in der 17. Ausgabe mit Clubkultur und Baurecht
    Wortprotokoll des öffentlichen Fachgesprächs im Bauausschuss (12. Februar 2020) im Dt. Bundestag

Weitere Erläuterungen sind unserer Broschüre (1. Auflage, PDF-Download (3,8 MB) zu entnehmen.